TreueOrden – Seit wann liegt Thüringen in der Schweiz?

“Treueorden” im Jahr 2017: Sebastian Färber, Thomas Wagner, Mario Kelch, Rocco Boitz

Im Jahr 2011 veröffentlichte die aus dem Raum Gotha (Thüringen) stammende Nazi-Band “TreueOrden” ihre erste CD mit dem Titel “SA Voran” – und dem Deutschland verbotenen Symbol der historischen NS-Organisation “Sturmabteilung” (SA) auf der Hülle. Die Band kann als Nachfolge- bzw. Nebenprojekt der 2005 ins Leben gerufenen Gothaer Band “Sonderkommando Dirlewanger” (SKD) gesehen werden.

Sowohl bei SKD als auch bei “TreueOrden” sitzt der umtriebige Thüringer Neonazi Thomas Wagner am Schlagzeug. Den Bass bei “TreueOrden” übernimmt Rocco Boitz, die Gitarre spielt Mario “Kelle” Kelch. Für den Gesang ist Sebastian “Basti” Färber verantwortlich.

Über die Aktivitäten der Bandmitglieder könnte ein Buch geschrieben werden. Thomas Wagner erlangte bereits 1997 Bekanntheit, als er beim “Spielen” mit einer Pumpgun versehentlich einem Kameraden, dem Gothaer Neonazi-Kader Marco Zint, ins Bein schoss. Nur wenige Monate zuvor war Wagner maßgeblich in die Durchführung eines Wehrsportlagers am Gothaer Stadtrand involviert. Als die Polizei dieses Lager auflöste, fand sie neben unzähligen NS-Devotionalien auch Luftgewehre und teilweise gestohlene Camping-Utensilien. Der Bezug ins kriminelle Milieu zieht sich wie ein roter Faden durch Thomas Wagners Vita. Die Pumpgun, mit der er Zint anschoss, besorgte er sich damals aus Angst vor “angeheuerten Türken”. Deren Rache hatte er erwartet, nachdem Zint und er einen Spielautomaten in einer Diskothek aufgebrochen und Bargeld entwendet hatten.

Im Jahr 2001 fand die Polizei bei einer großen Razzia gegen Mitglieder der SKD-Vorgängerband “Kampfgeschwader” abermals Propagandamaterial sowie Diebesgut im Wert von einer Viertelmillion Euro, darunter Studio-Equipment einer Gothaer Rockband. Auch eine scharfe Waffe wurde im Zuge der Durchsuchungen entdeckt. Wagner kam daraufhin in Untersuchungshaft.

Nach seiner Haft gründete Thomas Wagner nicht nur die Band “Sonderkommando Dirlewanger”, sondern war auch Mitglied des Tarnvereins “Toringi e.V”, der in Gotha Räumlichkeiten etwa für Konzerte anmietete. Schwerpunkt war dabei bis zur Schließung im Jahr 2006 das sogenannte “Grüne Haus” in Gotha-Ost, wo neben den Proben von SKD auch größere Konzerte stattfanden. Zu SKD gehörte neben Christian “Plinse” Herrmann auch Ronny “Harry” Hahn, welcher als Sänger fungierte. Hahn arbeitete im rechten Szeneladen “Sniper Store” in Gotha.

Inhaber des Ladens war der Neonazi Steffen Richter aus Saalfeld. Wagner und Richter spielen heute bei der Organisation von Rechtsrock-Konzerten in Thüringen eine tragende Rolle – vor allem in der “Erlebnisscheune” in Kirchheim bei Erfurt. Sie sind darüber hinaus als tonangebende Mitglieder der 2015 gegründeten Neonazi-Bruderschaft “Turonen/Garde 20” bekannt. Deren Vorgänger, der 2006 entstandenen Bruderschaft “H8”, gehörte Richter ebenfalls an. Thomas Wagner vertreibt mit “Frontschwein Records” seit langer Zeit neonazistische Musikproduktionen, u.a. von SKD.

Unter dem Label “Hausgemeinschaft Jonastal” mietete sich der Personenkreis um Wagner im Raum Gotha zuerst in Crawinkel und dann in Ballstädt erneut in Immobilien ein. Dieser gewalttätige Personenzusammenschluss war es auch, der im Februar 2014 eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt brutalst überfiel. Wagner galt dabei als Haupttäter, wurde abermals in Untersuchungshaft genommen und im “Ballstädt-Prozess” im April 2017 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Wagner und zehn weitere Verurteilte legten Revision ein. Unter ihnen sind auch SKD-Mitglied Christian Herrmann sowie Rocco Boitz, Bassist von “TreueOrden”.

Die ebenfalls im “Ballstädt-Prozess” angeklagten Neonazis Ricky Nixdorf, David Söllner und Marcus Rußwurm gehören wiederum der Naziband “Unbeliebte Jungs” an. Rixdorf spielte schon in den Nazibands “Sturmangriff” und “Volksverhetzer”. Seit einiger Zeit gehört er außerdem der Nazi-Kultband “Nordwind” um Ronald Haser und Martin Leipold an. Im Ballstädt-Prozess wurde Rixdorf in erster Instanz freigesprochen, während Rußwurm und Söllner zu Haftstrafen verurteilt wurden.

Sebastian “Basti” Färber, der im Raum Wolfsburg wohnhafte Sänger von “TreueOrden”, ist in der rechten Szene durch sein Mitwirken bei der Jenaer Naziband “Blustahl” schon lange bekannt. Gemeinsam mit dem auch ursprünglich aus Jena stammenden Mirko Szydlowski – bekannt als “Barny” – war Färber mit “Blutstahl” vor allem für Coverversionen der Berliner Naziband “Landser” beliebt. Etwa bei einem Konzert im Jahr 2005 in Bayern, als Färber und mutmaßlich auch Szydlowski auf der Bühne standen. Eine später veröffentlichte Aufnahme des Konzerts belegt, dass “Blutstahl” das “Landser”-Lied “Volk ans Gewehr” dargeboten hatten, das Drohungen an die Initiatoren der Wehrmachtsausstellung richtet. Im Refrain heißt es etwa: “Volk ans Gewehr gegen Reemtsma und Heer!” “Blutstahl” bestritt später die Teilnahme am Konzert. Sebastian Färber sei lediglich als Ersatzsänger für den tags zuvor verhafteten Ronny Hahn und dessen Band SKD eingesprungen.

Mit der Person Mario Kelch als Gitarrist von “TreueOrden” könnte das Rätsel gelüftet werden, warum “TreueOrden” regelmäßig als Schweizer Band beworben wird. Kelch unterhält beste Kontakte zum Schweizer Ableger des “Blood & Honour”-Netzwerks und besucht regelmäßig deren Strippenzieher Kevin Gutmann, Sänger der Nazi-Band “Amok”. Die eigene Bezeichnung als “Band aus der Schweiz” hat bei “TreueOrden” aber auch den Zweck, die Behörden zu täuschen und sich strafrechtlicher Verfolgung zu entziehen.

So gilt auch die sich als konspirativ gebende Naziband “Erschiessungskommando” als Schweizer Band. Neben Rechtsrock-Musikern der Schweizer “Blood & Honour”-Band “Amok” sollen auch die Thüringer Thomas Wagner und Mario Kelch zu “Erschiessungskommando” gehören. Deren neue CD namens “Sieg oder Tod” wurde auf dem “Rocktoberfest” im Oktober 2016 in Unterwasser (Schweiz) verkauft. Das auf der CD veröffentlichte Lied “Katharina König” beinhaltet die Zeile: “Du wirst grausam sterben, das ist nicht die Frage, vorher schaust du noch zu, wie ich den Lausebart erschlage, wie dieser Assipfaffe vor mir nieder kniet und sich mein Schalldämpfer tief in sein Maul schiebt”. Mit dieser Mordfantasie richtet sich die Band an die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König und ihren Vater, den Jenaer Pfarrer Lothar König, die sich seit Jahren beharrlich gegen Neonazis engagieren. Das Konzert in Unterwasser wurde zudem maßgeblich von der Thüringer Neonazi-Bruderschaft “Turonen/Garde 20” organisiert, der auch Mario Kelch und Marcus Rußwurm angehören. Rußwurm wohnte sogar einige Zeit in der Schweiz, ähnlich wie der Thüringer Matthias Melchner, der in der Region Zürich bis heute das Tattoostudio “Barbarossa” betreibt und für die Anmietung der Turnhalle in Unterwasser verantwortlich war.

Kelch war außerdem bei der Erfurter Naziband “PAK 88” aktiv. Im Jahr 2013 saß er wegen Körperverletzung in Haft. Zur gleichen Zeit wurde Steffen Mäder, der ebenfalls dem SKD-Umfeld zugerechnet wird, aufgrund seiner Aktivitäten im “Objekt 21” in Österreich in Untersuchungshaft genommen. Das “Objekt 21” wirkte als Bindeglied zwischen Neonazi-Szene und kriminellem Milieu und unterhielt vor allem nach Thüringen enge Verbindungen.

Ein unvollständiger Abriss des Konzertgeschehens, an dem die oben genannten Musiker mitwirkten:

  • 19. Dezember 1998 Auftritt von “Sturmangriff” in Thüringen, u.a. mit “Vinland Warriors” (Kanada) und “Avalon” (England)
  • 30. Oktober 1999 Auftritt von “Sturmangriff” in Thüringen, u.a. mit “H.M.F.” (“Hets Mot Folkgrupp”, Dänemark) und “Nordmacht” (Rostock), organisiert von “Blood & Honour”
  • 19. Februar 2000 Auftritt von “Sturmangriff” in Frohburg (Sachsen), u.a. mit “Sturm & Drang” (Senftenberg) und “Kreuzfeuer” (Altenburg)
  • 29. Januar 2005 erster Auftritt von “SKD” in Gotha
  • 22. Oktober 2005 Auftritt von “SKD” und “Blutstahl” in Mitterskirchen (Bayern), u.a. mit “Act of Violence”, organisiert von den “Hammerskins Bayern”
  • 29. Juni 2013 Auftritt von “SKD” im NPD-Büro Odermannstraße 8 in Leipzig, u.a. mit “Heiliges Reich” (Sachsen)
  • 27. Dezember 2014 Auftritt von “TreueOrden” in Kirchheim (Thüringen), u.a. mit “Frontfeuer” (Beeskow), “Tätervolk” (Berlin) und “Heiliges Reich” (Sachsen), organisiert von Thomas Wagner und Steffen Richter
  • 7. Februar 2015 Auftritt von “TreueOrden” und “Unbeliebte Jungs” in Kirchheim auf einem Solidaritätskonzert für die “Gefangenenhilfe”, u.a. mit “12 Golden Years” (Thüringen) und “Exzess” (Brandenburg), organisiert von den Neonazis Michel Fischer aus Weimar und Tim Wendt aus Berlin
  • 3. Oktober 2015 Auftritt von “TreueOrden” in Allstedt-Sotterhausen (Sachsen-Anhalt), u.a. mit “Exzess” (Strausberg) und “Frontfeuer” (Beeskow)
  • 31. Oktober 2010 Auftritt von “TreueOrden” in Kirchheim, u.a. mit “Hausmannskost” (Cottbus) und “Stonehammer” (Berlin/Brandenburg), organisiert von den “Hammerskins Franken”
  • 14. November 2015 Auftritt von “TreueOrden” und “Unbeliebte Jungs” in Kirchheim, u.a. mit “Die Lunikoff Verschwörung” (Berlin), organisiert von Steffen Richter und den “Turonen/Garde20”
  • 30. Januar 2016 Auftritt von “TreueOrden” und “Unbeliebte Jungs” im Raum Leipzig auf einem Solidaritätskonzert für die “Gefangenenhilfe”, mit der NS-Black-Metal-Band “Stahlfront” (Sachsen)
  • 14. Mai 2016 Auftritt von “TreueOrden” in Kirchheim, u.a. mit “Faustrecht” (Allgäu), “Kraft durch Froide” und “Smart Violence”, organisiert von den “Hammerskins Franken”
  • 20. August 2016 Auftritt von “TreueOrden” beim “Rock gegen Überfremdung” in Kirchheim, u.a. mit “Die Lunikoff Verschwörung” (Berlin) und “Tätervolk” (Berlin/Brandenburg)
  • 15. Juli 2017 Auftritt von “TreueOrden” beim “Rock gegen Überfremdung 2” in Themar (Thüringen), u.a. mit “Stahlgewitter” (Nordrhein-Westfalen), “Blutzeugen” (Sachsen) und “Uwocaust” (Potsdam), organisisert von den “Turonen/Garde 20” und Thommy Frenck
  • 12. August 2017 Auftritt von “TreueOrden” beim “zweiten ostsächsischen Sport- und Familienfest”, mit “Feuerbefehl” (Sachsen-Anhalt) und “Exzess”, veranstaltet von Neonazis aus Ostsachsen

Mehr dazu:

links Steffen Richter auf einem Naziaufmarsch, rechts Ricky Nixdorf beim “Rock gegen Überfremdung 2” (Fotos flickr)

“Unbeliebte Jungs” 2016: 3.v.l. David Söllner, 4.v.l. Marcus Rußwurm, 5.v.l. Ricky Nixdorf